Verlorener Transport ("lost transport")
Der Gedenktag zur Befreiung des verlorenen Zuges ist fester Bestandteil des Gemeindelebens. Der Gedenktag findet in der Regel am 23. April statt.
Auszüge aus der Broschüre von Erika Arlt: Die jüdischen Gedenkstätten, Hrsg. Landreis Elbe-Elster, Herzberg 1999
"Ein Davidstern im Eingangstor zum Friedhof in Tröbitz, einer kleinen brandenburgischen Gemeinde im Landkreis Elbe-Elster. Tröbitz ist vielleicht das einzige Dorf in Deutschland, wo in der Vergangenheit nie Menschen jüdischen Glaubens gelebt haben, zu dem aber ein jüdischer Friedhof gehört.
Ein Gedenkstein klärt auf:
„Zum Gedächtnis an die Jüdischen Männer und Frauen, die noch 1945 in Tröbitz dem mörderischen Faschismus erlagen, wurde dieser Stein als Mahnung für die Lebenden gesetzt.“ 1
Die kleine brandenburgische Gemeinde Tröbitz dem Konzentrationslager Bergen-Belsen auf schicksalhafte Weise verbunden. Am 11. April 1945 begann am Lagerbahnhof des Konzentrationslagers Bergen-Belsen für 2500 Häftlinge eine qualvolle Irrfahrt mit dem letzten der drei Transportzüge durch das zum Teil noch unbesetzte Deutschland des Jahres 1945. Die schreckliche Odyssee dieses dritten, des sogenannten "Verlorenen Transportes", endete unweit von Tröbitz.
In diesen Tagen des April 1945 setzte die Sowjetarmee ihren Vormarsch weiter fort und besetzte am 23. April einige Städte in der Umgebung, Bad Liebenwerda, Falkenberg, Uebigau, Herzberg. Auch für Tröbitz war es der Tag der Befreiung. "Es sollte eigentlich ein Tag der Freude und neuer Hoffnung sein, doch an diesem Datum wurde für die Tröbitzer noch einmal das ganze Ausmaß der faschistischen Barbarei offensichtlich", so beschreibt es Erika Arlt in Ihrer Dokumentation. Weiter heißt es, "Denn in den Morgenstunden des 23. April 1945 stießen Truppen der sowjetischen Armee auf diesen Dritten Zug aus dem Konzentrationslager Bergen-Belsen", der unweit von Tröbitz am Bahnkilometer 106,7 zum stehen kam. Sie befreiten die völlig ausgehungerten, entkräfteten und kranken Häftlinge, von denen über 200 Menschen die Fahrt nicht überlebt hatten. In den nachfolgenden Tagen und Wochen sollten noch hunderte Menschen an den Folgen der Fahrt und infolge der Typhus-Epidemie sterben.2
"Tröbitz war seinerzeit eine kleine Bergarbeitergemeinde mit etwa 700 Einwohnern, zu denen nun mehr als 2000 kranke und ausgehungerte Menschen kamen. Schnelle Hilfe tat Not, um die halb verhungerten und kranken Männer, Frauen und Kinder zu retten und ihnen ein Leben in Freiheit zu sichern."3 Die meisten Tröbitzer, die diese Zeit miterlebten, werden die Tage, Wochen und Monate danach nicht vergessen, brachte doch die Ankunft des Zuges so kurz vor dem Ende des Krieges einschneidende Veränderungen in das Leben dieser Menschen. "Viele Tröbitzer leisteten Hilfe und Angehörige der Roten Armee leiteten Maßnahmen ein, um die Not der Menschen zu lindern und die bereits im Zug ausgebrochene Epidemie des Typhus einzudämmen und bald zum Stillstand zu bringen."4 Auch jüdische Ärzte, die sich unter den ehemaligen Gefangenen befanden, stellten sich selbstlos zur Pflege und Behandlung ihrer erkrankten Leidensgenossen zur Verfügung. Einige Helfer bezahlten ihren Einsatz für die Kranken mit ihrem Leben.5 Trotz aller Maßnahmen beherrschte der Typhus den Ort. "In Tröbitz wurde Tag und Nacht gestorben". 6
Innerhalb von 8 Wochen, bis die Typhus-Epidemie zum Stillstand kam, starben noch weitere 320 Menschen, darunter auch 26 Tröbitzer Bürger.7
Obwohl in diesen Tagen und Wochen der "Tod ständiger Gast war", dürfen wir nicht vergessen, dass viele diese schicksalhafte und grauenvolle Zeit überlebten. "Noch vor Ablauf der Quarantäne erfolgte zur großen Freude und Überraschung der Geretteten die Rückführung von etwa 700 Personen in ihre Heimat. Zurück blieb in Tröbitz und Umgebung
- ein Massengrab in Langennaundorf
- ein Massengrab in der Gemarkung Wildgrube
- vier Einzelgräber in Schilda
- der jüdische Ehrenfriedhof in der Schulstraße in Tröbitz
- eine Gedenkstätte in Tröbitz"8
Und wenn man sich heute daran erinnert, wie es damals möglich war, mit so vielen Menschen in einem so kleinen Dorf? Dann muss man sich auch daran erinnern, "dass die Wohn- und Sanitärverhältnisse am Ende des Krieges um einiges primitiver waren als heute"9, so Erika Arlt. Sie stellt fest, dass "nur das hilfsbereite und friedliche Miteinander machte es möglich, dass die große Mehrzahl der befreiten jüdischen Häftlinge in ihre Heimatländer zurückkehren konnte.10
Eines haben Tröbitzer Einwohner und die Überlebenden dieses dritten Transportes, des Verlorenen Zuges, gemeinsam: Die bewegten und schicksalhaften Tage und Wochen des Frühjahrs 1945 sind von keinem, der sie miterlebt hat, vergessen. Es gibt kein Vergessen, und es bleibt die stete Erinnerung an die in Tröbitz und Umgebung ruhenden Toten, damit sich solche schrecklichen, für Menschen unwürdige Zustände nicht wiederholen können."11
Die Geschichte des verlorenen Transportes ist auch ein Teil der Tröbitzer Geschichte, die es gilt zu bewahren – als Erinnerung, als Mahnung aber auch als Chance für eine menschliche Zukunft.
1 Erika Arlt „Die Jüdischen Gedenkstätten“ Hrsg. Landkreis Elbe-Elster, Herzberg 1999, Seite 2
2-4 Erika Arlt „Die Jüdischen Gedenkstätten“ , a.a.O., Seite 4
5, 6 Erika Arlt „Die Jüdischen Gedenkstätten“, a.a.O., Seite 5
7, 8, 9 Erika Arlt „Die Jüdischen Gedenkstätten“, a.a.O.,Seite 6
10, 11 Erika Arlt „Die Jüdischen Gedenkstätten“, a.a.O., Seite 7
[wörtliche Zitate aus "Die Jüdischen Gedenkstätten" - kursiv]
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